empowernd oder nicht?
Als feministische Autorin war ich vom Erscheinen der blinden Barbie durchaus begeistert, denn in meinem Buch „Hinter Aphrodites Augen“ erzählten viele blinde Frauen, dass sie in ihrer Kindheit und Jugend von sehenden Menschen häufig gesagt bekamen: „Du kannst keine langen Haare haben, die kannst du als blindes Mädchen nicht pflegen“, oder: „Du darfst keinen kurzen Rock tragen, dann musst du dich nicht wundern, wenn dir als behinderte junge Frau etwas passiert“ oder “Versteck deine Augen, die sind hässlich“. Barbie sieht das anders: Sie trägt ein kurzes Röckchen, lange Haare und zeigt ihre Augen, die sie auch schminken möchte. Aber auch ihre Brillen gehören ganz selbstverständlich dazu, genau wie ihr Langstock.
Dieser (F)empowerment-Moment hat vielen sehbehinderten und blinden Mädchen und Frauen gefehlt. Es gab diese Vorbilder auf dem Spielzeugmarkt und auch in vielen anderen Bereichen nicht. Dass eine blinde Barbie geschminkt ist, sorgte nun sogar für Irritationen. Seit vielen Jahren kämpfe ich gegen das Vorurteil an, dass blinde Frauen sich nicht für Beauty und Fashion interessieren. Und wieder bringe ich eines meiner Bücher ins Spiel. In „Der Geschmack von Lippenrot“ gebe ich blinden Frauen Tipps zum Schminken, zu Mode und Stil. Es ist aber auch vollkommen ok, wenn eine Blinde Frau damit überhaupt nichts am Hut hat, sie soll es nur selbstbestimmt entscheiden können und die Wahl haben.
Mit der Veröffentlichung des Barbie-Films begab ich mich auf die Suche nach blinden Puppenpersönlichkeiten und fand eine Umsetzung der taubblinden Schriftstellerin Helen Keller, die ein Braille-Buch in den Händen hielt. Innerhalb meiner Barbie-Sozialisation war ich stets interessiert an Exemplaren, die neben der blonden Standardausführung andere Haar- oder Hautfarben hatten oder Diversität in jeglicher Form transportierten. Zum Glück hat die Puppe bei mir persönlich keine Figurkomplexe ausgelöst. Wenn ich Barbie nackt machte, sah sie merkwürdig zusammengeschraubt aus, das war nichts, was ich anstrebte. Komplexe bezüglich meiner Figur hatten bei mir eher meine Mitmenschen bewirkt. Auch fühlte ich mich durch das Spielzeug nicht in eine unterdrückte Frauenrolle gedrängt, denn ich identifizierte die Puppe auch mit Charakteren und Berufungen, die mir durchaus Kraft gaben und Mut machten. Aber mir ist bewusst, dass die Themen Körperbild und Frauenbild vor dem Barbie-Hintergrund kontrovers diskutiert werden müssen und auch ich war in meinem kindlichen Spielverhalten ganz sicher nicht immer frei von reproduzierten Klischees.
Barbie ist eine Modepuppe und ein kommerzielles Produkt, das spaltet bei blinden und bei sehenden Menschen gleichermaßen die Gemüter. Eines lässt sich jedoch nicht wegdiskutieren. Die Big Player der Unternehmensbranche können die Inklusion immens pushen. So kann man z.B. auch vom iPhone halten was man will, es wurde zu einem der relevantesten Produkte für blinde Menschen weltweit, weil Apple uns als Kund*innen erkannte und konsequent mitnahm. Auch Barbie kann dabei helfen, den Markt inklusiver zu gestalten und unsichtbare Themen sichtbar zu machen. Was wir in unseren Nischen mit unserer Öffentlichkeitsarbeit seit Jahrzehnten nicht schaffen, erreicht sie mit einem großen Knall. Wie auch beim Iphone, wurden bei ihrer Entwicklung blinde Menschen involviert. Barbie liebt Mode, viele blinde Frauen auch. Kleidung Shoppen können wir online jedoch größtenteils noch immer nicht, da der Handel hier für blinde Menschen nicht barrierefrei ist, selbst bei Fair-Fashion-Labels. Das ist doch wirklich nicht fair. Barbie, sag du mal was dazu!
Ich jedenfalls war und bleibe Barbie-Fan und sammle die Dia-De-Muertos-Puppen. Die blinde Barbie würde ich mir sofort kaufen, sobald Mattel sie mit einem Blindenführhund ausstattet. Viele Kinder interessieren sich für das Thema Assistenzhund und würden somit spielerisch lernen: Wenn Barbie ihrem Hund das Führgeschirr anzieht, ist er im Dienst und darf nicht abgelenkt werden, legt sie ihm die Kenndecke an, dann hat er Freizeit, das Glöckchen macht sie ihm um, damit sie ihn im Freilauf hören kann. Spätestens hier wird klar, dass Barbie mehr kann als Mode, sie kann ihre Lebenswelt als blinde Frau teilen, mit allem, was dazugehört. Das ist inklusiv und durchaus empowernd, oder?
