„Humor und Tod“

Unterirdischer Humor – wirkt nur von unten arrogant?

„Warum haben Blinde einen Stock? Damit man sie daran besser unter dem Auto hervorziehen kann.“ Ich weiß, der Witz ist so mittel und hinterlässt auch bei mir ein krampfiges Grinsen. Wirklich mal blind unter einem Auto zu landen, weil einer der gucken kann mich übersehen hat, ist in meinem Fall eine Todesangst, die sich anbietet. Hat auch schon dreimal fast geklappt. Ich bin also die, die am Galgen hängt.

Es gibt Themen, die sorgen von sich aus eher selten für Erheiterung: Unfälle und Krankheiten, Kriege und Krisen, Verluste und Todesfälle. Dennoch haben auch schlimme Situationen komische Momente. Ich wurde als behinderte Frau oft gefragt, worüber man Witze machen darf und welche wirklich zu weit gehen. Das kommt auf die passende Situation und die persönliche Stimmung an, aus meiner Sicht. Geschmackssache und Schmerzgrenze, würden andere sagen. Manchmal wurde ich in sehr schwachen Momenten ungefragt mit sehr geschmacklosen Witzen konfrontiert. Mein persönlicher Humor ist so trocken, dass der Galgen kracht. Dennoch nutze ich Humor nicht blindlings.

Manchmal können wir uns oder unsere Umstände durch einen eleganten Gag aufwerten und durch einen humorvollen Perspektivwechsel uns und die missliche Lage in einem anderen Licht erscheinen lassen. Das ist der selbstaufwertende Humor. Er hilft uns, den Blick für das Positive nicht zu verlieren und die Situation vielleicht sogar mit anderen Augen zu sehen. Dieser Humor kann auch in Momenten heilsam sein, in denen Gevatter Tod mit am Tisch sitzt. Der soziale Humor sorgt zusätzlich für Leichtigkeit im zwischenmenschlichen Umgang, angesichts des tödlichen Kontextes. Sozialer Humor spielte innerhalb meiner langjährigen sozialen Arbeit stets die Hauptrolle. Denn auch und gerade wenn wir mit dem Tod konfrontiert sind, heißt sozialer Umgang nicht, einander sozial zu umgehen. Gemeinsam zu lachen ist hier durchaus konstruktiv und empowernd. Worüber wir uns totlachen können, entscheidet jedoch auch unsere kulturelle oder familiäre Sozialisation. In sozialen Beziehungen oder Partnerschaften kann es also sein, dass nicht alle denselben Humor teilen. Bis Humor wechselseitig ineinandergreift, muss mensch den des/der anderen manchmal erst verstehen lernen. Können wir uns humoristisch gut verständigen, fördert das Verbindung und Zusammenhalt.

Das geht aber auch umgekehrt, nämlich im negativen Sinne und auf Kosten der Geschädigten. Diese Form des aggressiven Humors wird oft als verletzend wahrgenommen. Im Umgang mit lebensbedrohlich erkrankten Menschen, aber auch bezüglich meiner eigenen Behinderung, kommt es schon darauf an, dass die Augenhöhe gewahrt bleibt. So versuche ich auch bei meinen Mitmenschen sensibel für ihre aktuelle Humorlage innerhalb ihrer wunden Themen zu sein. Im Unterschied zum schwarzen Humor geht der Galgenhumor vom geschädigten Menschen selbst aus, also vom am Galgen Hängenden. Wenn ich von mir als Zugehörige einer Marginalisierten Gruppe sprechen darf, so scherze ich schon hin und wieder gern über mich, weil sich ein Witz manchmal echt verdammt gut anbietet und es förmlich danach schreit, ihn auszusprechen, Situationskomik eben, oder weil er bei der Verarbeitung eines behinderungsbedingten Konfliktes hilft, manchmal auch aus Selbstschutz und nicht selten auch, weil ich Galgenhumor mag. Sich selbst auf die Schippe zu nehmen birgt aber auch eine Gefahr. Bevor mich jemand anders dumm macht, übernehme ich das mal lieber selbst. Das ist der selbstabwertende Humor. Auf Teufel komm raus amüsieren wir andere mit dem, was uns eigentlich weh tut. Kann aber dann oft keiner ahnen, weil der Humor dann dazu dient, unsere wahren Gefühle zu verstecken. Gleichzeitig fühlen sich unsere Mitmenschen dazu eingeladen, munter mit in die Kerbe zu schlagen. Wenn ich neben dem Galgenhumor auch eine echte Freundin des schwarzen Humors bin, enthält dieser statt verbindender auch trennende, aggressive und destruktive Komponenten. Richtet er sich auf Feindbilder, auf die sich viele von uns einigen können, hat er für bestimmte Gruppen oder uns als Gesellschaft aber auch durchaus etwas Befriedigendes und hilft bei der Bewältigung kollektiver Traumata.

Manche Alltagsszenen sind skurriler als jede Überspitzung. Die Realität schreibt oft die besten Comedy-Programme. Von Comedians wollte ich innerhalb meines Talk-Formates „SonntagsFragen“ beim MDR-Fernsehen oft wissen, wie weit Humor gehen darf. In einem Punkt waren sich alle Humorarbeiter*innen einig: Es gäbe kein Thema, was man nicht humoristisch be- oder verarbeiten könne. „Sehe“ ich auch so! Nur eine Bitte von meiner Seite noch: Nicht mehr diese blind=blöd- Nummer, die ist echt sterbenslangweilig…

Diese Kolumne erschien in der Maiausgabe 2023 der „DRUNTER + DRÜBER“, zum Thema „Humor und Tod“. Das aktuelle Magazin für Endlichkeitskultur gibt’s hier als Print- und Digitalfassung (nicht für Screen Reader geeignet):

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Jennifer Sonntag mit schwarzem Eis; Foto: Wolfgang Sonntag